Michael Veit-Violoncello, 6 World Premieres from 1992-2005

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Michael Veit, Violoncello: (fast nur) Uraufführungen

You Cant’t Do That On Stage Anymore. Mit diesem Titel einer CD-Reihe mit Life-Aufnahmen beschreibt Frank Zappa möglicherweise das Gefühl, das man hat, wenn man nach ein paar Wochen die Aufnahme eines gelungenen Konzertes anhört. Auf Uraufführungen übertragen, könnte man ihn eventuell auch so übersetzen: Hoffentlich fragt mich niemand, dieses Stück noch einmal zu spielen.

Es sind auf dieser CD also ein paar Momente dokumentiert, die nicht so leicht zu wiederholen wären. Bei einer Uraufführung ist die Spannung, alles auf einen Punkt zu bringen meist noch etwas höher als bei einem normalen Konzert. Im gelungenen Fall ist also der Mitschnitt einer Uraufführung ein spannenderes und damit überzeugenderes Dokument als eine Studioproduktion desselben Stückes. Generell sind meiner Meinung nach Life-Aufnahmen oft musikalisch interessanter als Produktionen. Auf jeden Fall haben sie gegenüber dem zusammen geschnittenem Kunstprodukt den Vorteil, ein reales Ereignis zu dokumentieren, das eben unwiederholbar ist.

Die als die die Regel zu bestätigenden Ausnahmen beigefügten Aufnahmen (Peter Vogel Stücke – Studioproduktionen, Berio Sequenza – nicht von mir uraufgeführt und „nur“ die Generalprobe des Konzerts) sind immerhin ungeschnitten und dokumentieren damit auch ein reales Ereignis, das allerdings ohne Publikum stattfand.

Alle Aufnahmen außer Berio sind nachträglich etwas verhallt, damit der Unterschied zum
sehr langen Nachhall des Karolinensaals nicht zu groß ist.

1. German Romero: El mito de reencuento (Uraufführung, 25.7.1992 bei den Darmstädter Ferienkursen in der Sporthalle der Georg-Büchner-Schule) 7:11

Bezeichnend für die Atmosphäre, die früher bei den Darmstädter Ferienkursen herrschte (die 1992 laut Siegfried Palm allerdings auch nicht mehr das Original waren), war die Programmplanung für das Ensemblekonzert: sieben Tage lang (von insgesamt zwei Wochen) beriet die Leitungskommission jeden Mittag über die aufzuführenden Stücke. Als die Sache dann aber entschieden war, erhielten wir beim Mittagessen
die Noten und saßen 20 Minuten später in der Probe, ein gestresster Komponist stand hinter mir und redete in italienischer Sprache auf mich ein … piu forte, piu espressivo usw… während ich versuchte in der handgeschriebenen Stimme verschiedene künstliche Flageoletts zu entziffern…

Die Aufführung von El mito de reencuento wurde immerhin schon am vierten Tag beschlossen (die ersten drei Tage hatte ich ein anderes Solostück geübt, das dann wieder abgesetzt wurde). Ab da hatte ich jeden Morgen ein Treffen mit German Romero, einem jungen mexikanischem Komponisten der damals Schüler von Julio Estrada war. Diese Treffen wurden von Tag zu Tag stressiger, da German, auch kein Routinier, jedes mal einen Fortschritt erwartete. Es war wohl das erste Mal in meinem Leben, dass ich mehrmals schon um sieben Uhr früh hinter dem Cello saß.
(Es gab natürlich noch anderes zu tun in diesen zwei Wochen als nur dieses Stück zu üben.)

Es war trotzdem ein schöner (und extrem heißer) Sommer und ich bin froh, einmal diesen Wahnsinn mitgemacht zu haben, nachdem ich eigentlich erst in Kanada auf die Darmstädter Ferienkurse aufmerksam geworden war: So viele Leute hatten mich auf die Neue Musik angesprochen als sie hörten, dass ich aus Darmstadt kam.
Worauf ich besonders stolz bin ist, daß direkt nach mir, im selben Konzert, Irvine Arditti ebenfalls eine Uraufführung gespielt hat!

El mito de reencuento heißt: Der Mythos von der Auferstehung

Die Aufnahme ist aus dem Archiv der Ferienkurse. Es gibt ein paar Hintergrundgeräusche. Die Leute gingen damals während der sehr langen Konzerte ein und aus durch die offene Tür der Turnhalle.

2. Richard Wenzel: Fruit à la tête (Uraufführung, 28.1.1996 im Pfälzer Schloß in Groß-Umstadt) mit Oliver Kolb, Klavier 8:23

Nach dem ersten Konzert der Kammermusikreihe Soli fan tutti des Orchesters des Staatstheaters Darmstadt am 4. Oktober 1992 kam es zur Bekanntschaft mit dem Komponisten Richard Wenzel, der daraufhin ein Stück für Cello und Klavier schrieb. Das Werk, das ursprünglich Lieder für Zwei hieß, besteht aus vielen kleinen Teilen, die durch Doppelstriche in den Noten getrennt sind und doch ein organisches Ganzes ergeben.

Das Miniaturhafte und Filigrane des Stücks hat mit der Inspiration durch japanische Kultur zu tun, die der Komponist durch seine Frau und durch viele Aufenthalte und auch Arbeit in Japan erhielt. Ungefähr in der Mitte gibt es eine extrem leise Stelle. Daß es so einen Dynamikbereich überhaupt auf dem Cello, gibt habe ich erst bei den Proben mit Richard Wenzel kennengelernt.

Die Aufnahme entstand mit meinem TEAC Dat-Recorder.

3-7 Peter Vogel: 5 Stücke (Produktion für den ORF Studio Vorarlberg, 25.5.1998) 1:07, 1:03, 1:25, 5:07, 2:04

Peter Vogel lebt als Organist, Pianist, Jazzmusiker, Konzertorganisator, Lehrer und Komponist in Lindau am Bodensee und betreibt bewundernswerterweise alle diese Passionen gleichzeitig und auf höchstem Niveau. Unsere langjährige Freundschaft verschaffte mir die Ehre, daß mir das Abschlußstück seines Kompositionsstudiums gewidmet wurde – was allerdings auch verbunden war mit den nicht unbeträchtlichen Mühen, das schwierige Werk einzustudieren.

Peter Vogels Lehrer Herbert Willi, ein ungeheuer interessanter Mensch und Komponist, hatte vorgeschlagen, Peter solle sich vorstellen, er sei ein Cello. Ergebnis waren von der streicherischen Tradition sehr unabhängige und sehr originelle Stücke. Höhepunkt der Herausforderung für einen Cellisten ist der vierte Satz, in dem man drei gegen vier spielen muss und dann noch die Oberstimme als Melodie herausholen soll. Tagelange Spaziergänge mit rhythmischem Klopfen und angespannte Proben mit dem Komponisten führten zu dem gewünschten Ergebnis.

Die Uraufführung fand in verschiedenen Etappen statt: Am 14.9.1997 gab es im Hotel Bad Schachen die ersten 4 Sätze unter dem Titel Miniaturen. Damals hatte das Stück auch Satzbezeichnungen: 1.mit Gefühl, intensiv, 2. streng im Rhythmus, aber mit großem Ausdruck, 3. groove, 4. perpetuum, weich, geheimnisvoll. Am 18.5.1998 war die Uraufführung des kompletten Stücks in Frankfurt. Erst danach änderte Peter Vogel den Titel.

Bei der Produktion in Dornbirn war Herbert Willi als großer Inspirator anwesend. Das Studio hatte leider die typisch trockene Studioakustik, so dass auch schon vom ORF Hall hinzugefügt wurde.

8-9 Wilhelm Lutz-Rijeka: Materialermüdung I und II (Uraufführung, 18.4.1999 in der Konzertreihe Soli fan tutti im Vortragssaal im Haus der Geschichte in Darmstadt) mit dem Lichtenberg Quartett (Charys Schuler und Martin Landzettel, Violine, Klaus Opitz, Viola) 8:08

Der Titel bezieht sich auf das musikalische Material: in der streng verstandenen Zwölftonmusik soll es bekanntlich keine Tonwiederholungen geben. Lutz-Rijeka, der als Darmstädter Komponist natürlich mit der seriellen Musik aufgewachsen ist, wendet sich hier gegen diese Regel und wiederholt das Material (die Töne) solange bis Ermüdungserscheinungen auftreten. Am Schluß des Stückes kann man diese deutlich hören: das Solocello endet mit einer Kadenz, in der auch die C-Saite quasi ermüdet, d.h. herunterrutscht.

Materialermüdung II ist ein komplizierter Streichquartettsatz, dessen Vehemenz aber lyrische Passagen nicht ausschließt. Materialermüdung I ist ein Stück für Solocello. Da die beiden Stücke ineinander übergehen, müssen bei der Aufführung die drei anderen Mitglieder des Quartetts ziemlich lange auf ihren Einsatz warten. Immerhin kann das bei einem Solostück oft so schwierige Problem des Umblätterns hier einfach gelöst werden.

Materialermüdung I ist in einem ungewöhnlichen Prozess entstanden: Ursprung war eine Improvisation auf der Klarinette, dem persönlichen Instrument des Komponisten.
Zusammen haben wir dann anhand der Aufnahme und deren Notation nach Lösungen gesucht, wie man das Stück auf das Cello übertragen kann. Die Bariolagen (Tonwiederholungen auf zwei Saiten) und Vierteltöne am Anfang des Stückes waren z.B. ursprünglich verschiedene Griffe auf der Klarinette. Kleine Änderungen der Tönhöhen kamen bei diesem Prozess durchaus infrage. Interessant ist, dass auf diese Weise ein sehr gut klingendes und zu spielendes Stück entstand.

10. Tonino Battista: „Like a duck to the water“ (Uraufführung, 10.11.2000 im Herrenhaus Edenkoben) 11:40

Anlass für die Entstehung dieses Stücks war das Bach-Jahr 2000. Auftrag war, ein Stück zu komponieren, das sich auf die erste Cellosuite von Bach bezieht. Tonino Battista löste dieses Problem auf eine sehr komplizierte Art und Weise. Das Prélude der G-Dur Suite wurde in einer für den Hörer nicht nachvollziehbaren Weise transformiert. Wie der Titel andeutet verhält sich das Stück zum Prélude von Bach wie eine Ente zum Wasser – auf dem sie zwar schwimmt, mit dem sie aber sonst keine direkten Gemeinsamkeiten hat. Dies erfuhr ich in der Probe mit dem Komponisten, die in einer sehr netten Atmosphäre stattfand – allerdings am Telefon!
Sehr kompliziert war das Erlernen des Stücks in zwei Wochen (zwei Cellisten hatten vorher abgesagt ). Zusätzlich zu den Doppelgriffen mit Glissandi und Vierteltönen in Lagen, die eigentlich den Violonisten vorbehalten sein sollten, musste ich die dritte Stimme pfeifen!

Der rauhe, leicht rasselnde Ton des Cellos rührt von vier kleinen Schlüsselringen her, die auf die Saiten aufgefädelt sind und auf dem Steg liegen. Die C-Saite ist auf G heruntergestimmt.

Die von Richard Hauk für den Südwestfunk aufgenommene Aufnahme wurde wegen der Fusion von Südwestfunk und Südfunk nie gesendet. Immerhin, Battista war mit dieser Aufnahme, genauso wie schon mit der telefonischen Wiedergabe, sehr zufrieden. Die noch zu verbessernden Punkte habe ich nie erfahren, weil ich ihn leider auch später nie getroffen habe.

11. Luciano Berio: Sequenza XIV (2002) (Generalprobe der Darmstädter Erstaufführung, 22.10.2005 in der Konzertreihe Soli fan tutti im Karolinensaal im Haus der Geschichte in Darmstadt) 13:11

Mit der Sequenza I für Flöte eröffnete 1958 Berio seine wichtigste Werkreihe. Die jeweils aus einer harmonischen Fortschreitung (Sequenz) entwickelten Stücke gehen jeweils an die technischen und ausdrucksmäßigen Grenzen des jeweiligen Soloinstruments.
Berio hatte die Arbeit an seiner letzten Sequenza noch nicht wirklich beendet, als er 2003 starb. Wie alle Werke dieser Serie entstand das Stück in enger Zusammenarbeit mit einem Interpreten, in diesem Falle mit Rohan de Saram, dem Cellisten des Arditti Quartetts. Während die Ausgabe der Universal Edition, die nach Berios Tod aufgrund seines Notenmaterials erstellt wurde, leider eine Vielzahl von Fehlern und Ungenauigkeiten enthält und so das Stück praktisch unspielbar macht, gibt es zum Glück die Möglichkeit, nach London zu fahren und sich von Rohan de Saram seine Version letzter Hand, die Berio noch gehört und gebilligt hat, erläutern zu lassen. Zumal der Aufwand, das Stück zu lernen sowieso schon immens ist (seit meinem Studium habe ich an keinem anderen Stück auch nur annähernd so viel geübt, wie an der Sequenza) stand die Reise nach London in einem durchaus vernünftigen Verhältnis zu den sonstigen Anstrengungen.

Das Üben hat ungeheuren Spaß gemacht, nachdem die anfänglichen Hürden überwunden waren, weil das Stück einfach richtig schön ist. Daß Berio am Ende seines Lebens und schwer krank war, als er es komponierte, ist kaum spürbar. Hauptteil ist eine beinahe schlichte Melodie, die aber durch verschiedene Klangfarben, Echos und extreme Dynamik verfremdet wird und dadurch fast eine räumliche Wirkung erhält (analog der vorgetäuschten Polyphonie in den Bach Suiten). Immer wieder unterbrochen wird sie durch knallende Bartok Pizzikati und später durch Glissandi über das ganze Cello. Anfang und Mittelteil erfordern eine Spieltechnik, die völlig neu zu lernen ist: gleichzeitig zu perkussivem Spiel mit der linken Hand auf den Saiten klopft die rechte Hand vier verschiedene Tonhöhen auf den Korpus des Cellos. (Man fühlt sich anfangs wie ein unbegabter Klavierschüler, der zum ersten Mal mit beiden Händen zusammen spielen muss.)

Diese Klopfteile enthalten Strukturen eines Tala (Rhythmus) aus Sri Lanka und sollen klingen wie die traditionellen, mit den Händen gespielten Kandyan-Trommeln Sri Lankas. Beides sind Bezüge zur Herkunft Rohan de Sarams. Auch die fast unmerkliche Beschleunigung des Grundmetrums ist eine Analogie zur indischen Musik. Zusätzliche Würze erhält das Stück durch eine Skordatura: die G-Saite ist auf Gis gestimmt, die Notation ist aber klingend. Diese Stimmung begünstigt und ermöglicht die spezielle Harmonik des Stücks.

Tonmeister dieser Aufnahme war Alfred Benz; Leiter der Tonabteilung des Staatstheaters Darmstadt (der auch die ganze CD abgemischt hat). Er verwendete drei Mikrophone, zwei davon nah am Cello, um die Klopfgeräusche gut hörbar zu machen.

12. Peter Vogel: Du und Ich (Produktion im Studio von Radio Lindau, Mai 1988) mit einem Yamaha DX7, programmiert von Peter Vogel 2:37

Die Uraufführung dieses Werkes in Wasserburg am Bodensee am 21.5.1988 war zumindest musikalisch nicht unter den in der Einleitung erwähnten Ereignissen einzuordnen. Erst am Vorabend der Hochzeit meines Bruders hatte ich die Noten des für ihn komponierten Stücks in recht genialisch hingekritzelter Form erhalten. Die kurze Probe in der Kirche reichte dann nicht aus, die Schwierigkeiten des Zusammenspiels mit einer Maschine zu beseitigen. Schon die Cellostimme allein war nicht zum Prima Vista Spiel geeignet – wie es bei einem Werk von Peter Vogel ja auch nicht anders zu erwarten ist.

Alle diese Probleme lösten wir dann bei einer Produktion im Radio Lindau unter der Aufnahmeleitung meines Bruders Peter Veit. Ich hatte einen Klicktrack mit Sechzehntel im Kopfhörer und den Komponisten musste ich irgend wann bitten, den Raum zu verlassen, da seine Anwesenheit den Stresslevel zu sehr erhöhte. Aufnahmegerät war noch eine klassische Revox Studio-Bandmaschine.

Michael Veit, Violoncello
Celli von August Pfab, Hamburg 1901 (12),
David Tecchler, Rom 1722 (1),
Gioffredo Cappa, Saluzzo ca. 1700-1710 (2-11)

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